Diese Reportage erschien im Juli 2020 im Tages-Anzeiger, in der Berner Zeitung und in der Basler Zeitung.

Bilder: Dominic Wenger

Kein Geklatsche, kein Gejohle. Es herrscht respektvolle Stille am Bockstand im bernischen Bangerten bei Worb. Die Zuschauer vermeiden jede Störung der Konzentration der Spieler. Nur die Heuschrecken, die an diesem heissen Sommertag ihren rasselnden Gesangsteppich über die Wiese legen, scheinen unbeeindruckt vom Treiben auf dem Feld. Als Jürg Schneeberger zum Abschlag antritt, ist er im Tunnel. Mit einer Hacke gräbt er ein Loch, das seinem linken Fuss bei der Körperdrehung Halt geben wird. Er bringt sich in Stellung, holt mit dem Stecken Schwung und schlägt den Hornuss weit ins Ries, wie das Spielfeld genannt wird.
Schneeberger ist die Ruhe in Person. Sportlich befindet er sich auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere. Schweizer Meister Höchstetten hat den 25-Jährigen auf die aktuelle Saison hin vom gegnerischen Bern-Beundenfeld abgeworben. Eine grosse Ehre. Und die Bestätigung, dass er jetzt zu den besten Hornussern des Landes gehört. Von Hochmut ist der bescheidene Schweizer gleichwohl weit entfernt.
Seine grosse Stärke als Spieler ist das präzise Hochwerfen der Schindel im richtigen Moment. Schneeberger sieht den anfliegenden Hornuss früh. Seine Qualitäten im Ries sind der Hauptgrund, weshalb die Verantwortlichen des besten Teams der Nationalliga A auf ihn zugekommen sind. Denn die mannschaftliche Leistung beim sogenannten Abtun ist spielentscheidend.

Sprüche aus eigenem Team
Geboren und aufgewachsen ist Schneeberger in Langenthal, im Schweizer Mittelland, wo sich die urchige Nationalsportart bis heute grosser Beliebtheit erfreut. Seine Mutter stammt aus Ecuador, der Vater ist Schweizer. Seine Kindheit beschreibt er als einfach, aber schön. «Ich habe diese Zeit sehr genossen», sagt er.
Vorkommnisse in der Schule trübten indes das Idyll. Aufgrund seiner Hautfarbe war Schneeberger regelmässig mit Rassismus konfrontiert. «Da ist immer mal wieder ein Spruch gefallen», sagt er, doch er habe dies stets relativ gelassen genommen.​​​​​​​
Auch beim Hornussen, einem nicht eben für seine Weltoffenheit bekannten Milieu, muss sich Schneeberger zuweilen rassistische Sprüche anhören. In erster Linie von gegnerischen Spielern, manchmal auch von Mannschaftskollegen. «Sag du, was du willst. Für mich ist es okay», denke er in solchen Momenten – scheinbar ohne das geringste Verlangen, Verantwortliche zur Rede zu stellen. Der Abwehrspezialist geht bei rassistischen Angriffen nie in die Gegenoffensive.
Schneeberger ist die einzige Person of color in der Nationalliga A. Mitunter empfindet er seine Hautfarbe in der Hornusserwelt sogar als Pluspunkt: «Mich sprechen viele Leute an oder grüssen mich mit Namen, weil sie mich an der Hautfarbe erkennen.» Über die Jahre habe er sich allerdings auch eine harte Schale zugelegt. Je älter er geworden sei, desto mehr seien rassistische Bemerkungen an ihm abgeprallt. «Ich höre sie, aber ich muss sie danach schnell wieder wegstecken können», sagt er.
Dieser «Coolness», wie es Schneeberger nennt, begegnet Denise Efionayi-Mäder immer wieder. Efionayi-Mäder ist Vizedirektorin des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuenburg. Sie forscht zu Rassismus in der Schweiz und hat zu dem Thema mehrere Studien veröffentlicht.
«Es gibt Menschen, die mit Rassismus erstaunlich gut umgehen können, die es einfach einstecken und gar nicht so wichtig finden», sagt die Soziologin. Rassistische Äusserungen nicht an sich heranzulassen, könne aber auch eine natürliche Umgehungsstrategie sein. «Denn was kann man schon machen? Man will sich ja nicht gegen seine Kollegen oder Bekannten stellen», so Efionayi-Mäder.
People of color hätten teilweise die Tendenz, Rassismus lieber nicht thematisieren zu wollen, weil sie die Erfahrung gemacht hätten, dass sie damit bei Weissen auf Abwehr stossen würden. Diese Erkenntnis hat die Forscherin in einer ihrer Studien herausgearbeitet. «Schwarze sind häufig in der Minderheit, wenn sie das Thema auf den Tisch bringen, und bekommen dann die Reaktion: Ach, komm, das ist doch alles nicht so schlimm, übertreibst du nicht ein wenig?» Und so würden sie das Thema irgendwann nur noch unter sich oder gar nicht mehr ansprechen.
«Vielleicht nutze ich diese Coolness auch ein wenig als Barriere», sagt Jürg Schneeberger. «Wenn ich alles in mich hineinfressen und persönlich nehmen würde, dann würde mich das belasten.» In manch einer Situation reagiere er auch mit einem Witz, sodass die ganze Gruppe lache und die Sache gegessen sei.
«Humor kann eine gute Art sein, mit Rassismus umzugehen, wenn es für die Person in dem Moment auch wirklich stimmt», sagt Efionayi-Mäder. So könne der Betroffene wieder die Oberhand gewinnen. Es könne aber auch gefährlich werden, da man sich mit der Problematik nicht auseinandersetze, nicht über das Thema spreche. 
Die Wiederholung vieler kleiner Mikroaggressionen könne irgendwann eine Wunde hinterlassen. «Weil es eben immer und immer wieder vorkommt», sagt die Soziologin. Gerade junge Menschen seien oft resilient und das sei auch gut so. Aber man müsse natürlich schon genauer hinhören, wenn sie dann sagten, ihnen mache das nichts aus oder für sie sei das kein Problem. ​​​​​​​
Klar ist, Jürg Schneeberger hat viele Ressourcen: Er ist erfolgreich, gut integriert und ein überaus zuvorkommender, sympathischer Mann. Für ihn könne es deshalb leichter sein, mit Rassismus umzugehen, meint Efionayi-Mäder. Das bestätigt auch Schneeberger selbst: «Ich merke immer wieder, dass andere Dunkelhäutige solche Sprüche teilweise ganz anders auffassen.» 
Danach gefragt, wie denn seine Eltern reagiert hätten, wenn er zu Hause berichtet habe, dass ihn andere rassistisch beleidigt hätten, sagt er: «Daheim habe ich immer nur das Gute erzählt. Denn so hatte auch ich ein gutes Gefühl.» Er habe vermeiden wollen, dass sein Klagen doppelt und dreifach auf ihn zurückfalle, dass Schulkameraden auf ihn zeigten.
Rassistische Erfahrungen, wie sie Jürg Schneeberger macht, tauchen in keiner Statistik auf. Martine Brunschwig Graf, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), sagt: «Ich höre immer wieder – gerade aus Bereichen wie dem Sport –, dass sich Leute nicht über Rassismus beklagen wollen, um sich keine Probleme zu schaffen.» Fälle wie diese von Jürg Schneeberger, in denen sich der Betroffene nicht wehrt, werden bei der EKR nicht gemeldet. «Da gibt es eine grosse Dunkelziffer», sagt auch Wissenschaftlerin Efionayi-Mäder. Es sei daher unbedingt nötig, dass man über das Thema spreche.

«Het's no Mohrechöpf?»

An den Eidgenössischen Hornusserverband wurden bislang noch gar nie rassistische Vorkommnisse herangetragen. Zentralpräsident Adrian Tschumi zeigt sich auf Anfrage erstaunt, dass es im Rahmen von Spielen zu entsprechenden Vorfällen gekommen ist. «Das ist sehr bedauerlich. Wir Hornusser sind untereinander eigentlich sehr liberal und akzeptieren uns so, wie wir sind.» Spieler, die Rassismus erführen, sollten sich unbedingt beim Verband melden, sagt er.
Für Schneeberger persönlich ist das Thema «halb so wild», wie er sagt. Als während des Fotoshootings für diesen Artikel, das im Anschluss an ein Topspiel der Nationalliga A stattfindet, ein Mann aus der Anonymität der Festwirtschaft heraus «Het’s no Mohrechöpf?» in Richtung Schneeberger ruft und Gelächter darauf folgt, schaut der Langenthaler unbeeindruckt weiter in die Kamera und zuckt nicht mit der Wimper. Es scheint für ihn die einzig patente Strategie zu sein, um in dieser Gesellschaft zu bestehen.

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