Dieser Blog-Beitrag entstand im Auftrag von Zur Rose.
Trudy Leisi winkt uns über das Lilienfeld zu und setzt sich zu uns an den Weiher im Zürcher Belvoirpark. Neben ihr auf der Bank hat Pascale Frey Platz genommen. Beide sind sie MPAs. Und doch erwecken manche ihrer Schilderungen den Anschein, als hätten sie zwei unterschiedliche Berufe gewählt.
«Früher, wenn der Arzt die Berichte diktierte, sass ich an einem Schreibtisch nebenan und hielt seine Worte stenografisch fest», erzählt Leisi. Als sie 1967 ihre erste Stelle als «Arztgehilfin» im zürcherischen Oberrieden antrat, gehörte das Diktiergerät noch nicht zur Ausrüstung einer Hausarztpraxis.
Auch die Arbeit im Labor war eine fundamental andere. «Heute hält man beim Urintest einfach einen Streifen in die Probe und erhält in zwei Minuten die Resultate von zehn Parametern», sagt Leisi. «Früher haben wir den Urin mit dem Bunsenbrenner aufgekocht, dreiprozentige Essigsäure dazugegeben und so das Eiweiss bestimmt.» Ein grosser Aufwand – für einen einzigen Wert. Doch Tätigkeiten wie diese hätten ihre Arbeit sehr bereichert. Viel spannender sei es früher gewesen, meint sie. In Erinnerungen schwelgend strahlt Trudy Leisi übers ganze Gesicht.
Bei Pascale Freys Bewerbung für ihre erste Stelle als MPA waren weder Stenografie noch das Aufkochen von Urin Einstellungskriterien. Aufgaben wie diese wurden längst aus der Liste der erforderlichen Kompetenzen gestrichen.
Gefahren des Röntgens weitgehend unbekannt
Anders handhabten Mediziner in den Sechzigerjahren auch das Röntgen. Leisi erzählt, wie ihre Chefin damals den Apparat bediente. «Die Ärztin hielt sich gerne lange in der Kammer auf, um sich die Röntgenbilder ganz genau anzuschauen. Sehr lange sogar.» Wenige Jahre später sei sie gestorben. Leberkrebs. Der Tod, erfuhr Leisi, war mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Strahlenbelastung zurückzuführen.
«Wir sind beim Röntgen immer sehr vorsichtig», sagt Pascale Frey. «Den Strahlen sind wir so gut wie gar nicht ausgesetzt.» Und wenn man einmal eine hohe Dosis Strahlen abbekommen würde, würde man sogleich über eine gewisse Zeit vom Röntgen dispensiert und müsste sich von einem Spezialisten untersuchen lassen.
Leisis Hausarztpraxis haben Ende der Sechzigerjahre auch viele Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch aufgesucht. «Sie durften bei uns im Meersalz baden», erzählt Leisi. «So würden sie eher schwanger, sagten wir ihnen. Um ehrlich zu sein, ich glaubte nie daran. Und ich weiss auch nicht, ob es jemals bei einer Patientin funktionierte.»
«Die Ärztin hielt sich gerne lange in der Röntgenkammer auf. Wenige Jahre später starb sie.»
Auch was die Zusammenarbeit im Praxisteam anbelangt, hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren so einiges getan. «Der Respekt vor dem Arzt war viel grösser, sagt Leisi. Exemplarisch für die steilere Hierarchie steht die damalige Berufsbezeichnung. Trudy Leisi störte der Begriff «Arztgehilfin» allerdings nie. «Früher stand der Arzt halt auf einem höheren Podest.»
«Meine Kollegin wird das für Sie erledigen», sage ihr Chef manchmal in Anwesenheit eines Patienten, meint Frey. Es sind Formulierungen wie diese, bei denen die junge MPA spürt, dass sie ihrem Vorgesetzten auf Augenhöhe begegnen kann. «Ohne einander geht es schliesslich nicht», sagt sie. Der Respekt vor dem Arzt sei ja trotzdem noch da.
Erwartungshaltung der Patienten ist gestiegen
Verändert hat sich in all den Jahren auch das Verhalten der Patienten. Früher hätten sie geduldig im Wartezimmer gesessen, miteinander geschwatzt und auch mal anstandslos eine Stunde oder mehr gewartet, erinnert sich Leisi. Heute erwarte der Patient, dass er pünktlich auf die Minute drankomme. Frey zeigt Verständnis für diese Erwartungshaltung: «Die Leute müssen ja meistens rasch zurück an die Arbeit.» Aber mehr Geduld komme letztlich doch auch den Patienten zugute, merkt Leisi an, da sich der Arzt wie auch die MPAs mehr Zeit für sie nehmen könnten.
«Ich fand es schön, dass man nicht immer so pressieren musste», sagt Leisi. «Alles war etwas ruhiger. Gemächlicher. Die guten alten Zeiten eben.»
Von Stress und Hektik ist auch an diesem frühlingshaften Montag im Belvoirpark nichts zu spüren. Wir verabschieden uns. Trudy Leisi und Pascale Frey spazieren gemeinsam entlang der bunt blühenden Teppichbeete in den Nachmittag hinein.